Vertrag über gute Beschäftigungsbedingungen
Maßstäbe setzen Wissenschaftsstandort Nordrhein-Westfalen
70 Hochschulen und mehr als 50 außeruniversitäre Forschungseinrichtungen machen Nordrhein-Westfalen zur dichtesten Wissenschaftsregion Europas. Dafür braucht das Land hervorragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Die Hochschulen und Forschungseinrichtungen konkurrieren national und international um die besten Köpfe, sowohl mit der Wirtschaft als auch innerhalb der Wissenschaft. Sie können diesen Wettbewerb nur gewinnen, wenn sie durchweg gute Beschäftigungsbedingungen anbieten.
Nordrhein-Westfalen setzt bundesweiten Maßstab
Um auch auf der Landesebene konkrete Verbesserungen für die Beschäftigten zu erreichen, hat das Ministerium für Kultur und Wissenschaft (MKW) gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern der Arbeitgeber (Hochschulen) und der Arbeitnehmer (Landespersonalräte) einen Rahmenvertrag für gute Beschäftigungsverhältnisse erarbeitet.
Nordrhein-Westfalen hat damit einen bundesweiten Maßstab aufgestellt. Einerseits, weil sich Hochschulen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und das MKW auf gemeinsame Standards geeinigt haben, andererseits aufgrund der inhaltlichen Tragweite des Vertrages.
Best Practice Beispiele aus der Praxis
Angefangen hat alles mit einem Gespräch über den Schreibtisch hinweg. Das war 2010 und die Personalverwaltung der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) kam kaum noch hinterher damit, Arbeitsverträge neu auszustellen oder zu verlängern. Mal ging es um zwei Monate, mal um sechs, selten um anderthalb Jahre. Zudem war die kurze Laufzeit der Arbeitsverträge ein ständiges Thema mit dem wissenschaftlichen Personalrat. Um die Problematik mit Fakten zu belegen, zog sich das Personaldezernat die Zahlen aus dem System – und vereinbarte umgehend einen Termin bei Rektor Univ.-Prof. Dr.-Ing. Ernst Schmachtenberg.
Die Analyse ergab: Fast zwei von drei der befristet angestellten wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der RWTH Aachen hatten 2010 Verträge mit einer Laufzeit von weniger als einem Jahr. Das konnte und wollte das Rektorat so nicht stehen lassen: „Natürlich hängt die Beschäftigungssituation an einer Hochschule eng mit ihrer finanziellen Ausstattung zusammen. Aber wir haben keinerlei Interesse daran, dass sich unser Personal von Vertrag zu Vertrag hangelt“, sagte der Rektor. „Die RWTH ist darauf angewiesen, für begabte Forscherinnen und Forscher ein attraktiver Arbeitgeber zu sein.“
Im April 2011 erließ das Rektorat eine Richtlinie, die den Umgang mit Befristungen neu regelte. Die Laufzeit der Verträge soll mindestens ein Jahr betragen und davon abweichende Ausnahmefälle sind nur mit besonderer Begründung zulässig. Der Umfang der Stelle soll mindestens 50 Prozent der regulären wöchentlichen Arbeitszeit betragen. Das Ziel war, für die gesamte Phase der wissenschaftlichen Qualifizierung verlässlichere Vertragslaufzeiten zu schaffen.
Parallel dazu verabschiedete die Hochschule mit einer breiten Mehrheit in allen Gremien neue Leitlinien für die Personalentwicklung. Sie zeigen Beschäftigten mögliche Karrierewege inner- und außerhalb der Universität auf und unterstützen durch entsprechende Maßnahmen. Die Gleichstellung der Geschlechter sowie Diversity Management sind Chefsache geworden. Flexible Arbeitsmodelle gewähren die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Einen unbefristeten Vertrag kann die RWTH Aachen den meisten Beschäftigten zwar dennoch nicht anbieten. „Die Hochschule ist ein spannender Arbeitgeber für Menschen, die sich in einer bestimmten Zeit wissenschaftlich qualifizieren wollen“, so Rektor Schmachtenberg.
Hierauf aufbauend ergeben sich jedoch vielfältige Karrierewege in Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. „Der Wechsel des Arbeitsplatzes ist also inhärenter Teil der beruflichen Entwicklung“, erläutert die Prorektorin für Personal und wissenschaftlichen Nachwuchs, apl. Prof. Dr. rer. nat. Doris Klee. „Wir sind herausgefordert, diese Karrierewege verlässlicher zu machen.“
Kurzzeitverträge sind deshalb heute die Ausnahme, die sie sein sollen. Drei von vier wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind mindestens ein Jahr lang beschäftigt, häufig deutlich länger. Fallen Verträge kürzer aus, gibt es dafür einen guten Grund. Sei es, dass bis zur Abgabe der Dissertation nur wenige Wochen fehlen; sei es, dass die finale Zusage für ein Drittmittelprojekt noch aussteht.
Damit erfüllt die RWTH wesentliche Teile aus dem neuen Rahmenvertrag „Gute Arbeit“ schon jetzt. Der Umsetzung sieht das Rektorat daher gelassen entgegen. Grundsätzlich seien sich alle Organe und Gremien einig, dass Beschäftigte gute Arbeitsbedingungen brauchen, heißt es. Der Rahmenvertrag sorgt nun dafür, dass das Thema dauerhaft auf der Agenda bleibt.
Nicht zuletzt durch die Bologna-Reform hat Dr. Christina Reinhardt ein gutes Arbeitsklima zu schätzen gelernt. Neue Studiengänge, neue Prüfungsordnungen: Alles änderte sich, vieles war offen – und die damalige Personalentwicklerin der Ruhr-Universität Bochum sah: „Es gibt praktisch keine Chance, eine Reform am Personal vorbei umzusetzen. Je mehr sich Beschäftigte als Teil der Organisation betrachten, desto eher lassen sie sich auf Situationen der Unsicherheit ein.“
Heute ist Christina Reinhardt Kanzlerin der Hochschule Bochum und dort gemeinsam mit dem Präsidenten der Hochschule, Prof. Dr. Martin Sternberg, verantwortlich für rund 500 Beschäftigte. Ihre Erfahrung von einst schlägt sich dort in den Leitlinien für die Organisations- und Personalentwicklung nieder. Eines der Ziele: Hochschule und Beschäftigte sollen ihre Interessen aufeinander abstimmen, damit sie auch in schwierigen Situationen gemeinsam an einem Strang ziehen wollen und können. Immerhin sitzen sie im gleichen Boot: „Die Herausforderungen, die wir gemeinsam bewältigen müssen, werden sicher nicht kleiner werden“, sagt Christina Reinhardt. Die hohe Zahl an Erstsemestern zählt sie dazu, den demografischen Wandel, den Fachkräftemangel oder die weitere Digitalisierung der Hochschulen.
Gute Arbeitsbedingungen sind ein originäres Interesse der Beschäftigten – und damit in den Augen der Kanzlerin ohnehin zwangsläufig ein Teil der Organisation. Die Leitlinien für die Personalentwicklung an der Hochschule Bochum schreiben daher viele Prinzipien bereits fest, die auch im Rahmenvertrag „Gute Arbeit“ verankert sind. Alle Beschäftigten haben einen Anspruch auf individuelle Weiterbildung und Führungskräfteentwicklung, familiengerechte Arbeitsmodelle oder ein Betriebliches Gesundheitsmanagement.
Innerhalb der Leitlinien haben diese Elemente gleich mehrere Funktionen. Zum einen kommunizieren sie klar die Position der Hochschule. „Wir signalisieren unseren Beschäftigten, dass ihr Interesse an einem stabilen und motivierenden Arbeitsplatz willkommen ist“, so Christina Reinhardt. Zum Zweiten schaffen strukturierte Mitarbeitergespräche, Seminare oder Coachings den Raum, über diese Interessen zu verhandeln. Zum Dritten sind Weiterbildung, flexible Arbeitsmodelle oder Gesundheitsmanagement konkrete Instrumente, um diese Interessen innerhalb der Hochschule zu verwirklichen.
Die Kanzlerin geht davon aus, dass lediglich zu einigen Details des Rahmenvertrages weitere Verhandlungen innerhalb der Hochschule nötig sein werden. Eventuell müssten Gründe für befristete Arbeitsverträge verbindlicher geregelt werden, als das derzeit der Fall ist. Rund 54 der 150 wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben gegenwärtig einen Vertrag auf Zeit. „Bisher haben wir dabei eher auf individuelle Arrangements gesetzt, um sowohl das Interesse der Beschäftigten an einem stabilen Arbeitsplatz zu berücksichtigen als auch die Notwendigkeiten, die sich aus der begrenzten Laufzeit von Drittmittelprojekten ergeben“, so die Kanzlerin.
Grundsätzlich jedoch ist die Unterschrift der Hochschule Bochum unter dem Rahmenvertrag ein einstimmiger Beschluss aller Gremien und Organe. Christina Reinhardt: „Über den Rahmenkodex haben wir lange verhandelt. Ich denke, dass am Ende alle wichtigen Interessen berücksichtigt sind.“
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